INTERVIEW

Interview Source: www.sounds2move.de
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Das notariell beglaubigte Ja-Wort zum Anderssein - Interview mit Reto Hardmeier (Punish)

Was reizt dich daran tätowiert zu sein?

Da mir die allerorts vorgebeteten Weltreligionen ohne Ausnahme ziemlich unheimlich sind und mir darum kreuzweise am Bierranzen hängen können, erschien mir das Finden der eigenen Spiritualität schon in jungen Jahren als der einzige Weg zum eigenen, inneren Frieden. Einer der in der Tattoo-Szene kursierenden Philosophien ist, dass man das zukünftige Tattoo zuerst mal spüren muss bevor der erste Stich getan ist und dass es sowohl deine eigene wie auch des Tätowierers Aufgabe ist, dieses Bild zu visualisieren. Ich für meinen Teil kann mich komplett mit dieser Aussage identifizieren, da jedes bisschen Tinte eng mit meiner Lebensgeschichte verbunden ist und ich fühlen kann , wie mich jeder Stich näher an mein privates Ziel bringt.

Wann hast du dein erstes Tattoo machen lassen und was hat dich dazu bewogen?

Ich und unser Gitarrist André machten uns im Hochsommer '97 (beide gerade 21 geworden) einen langgehegten Traum wahr und seilten uns für 11 Wochen nach Übersee ab, wo wir mit einer Karre ungeplant durch Kanada und die USA tingelten, um uns mehr oder weniger ungehemmt dem "Way of Rock'n'Roll" hinzugeben. Ich hatte gegen Ende dieses Roadtrips dann endlich das Glück in L.A. einen Tätowierer ("Tattoos by Patrice") zu finden, den ich Erlösenderweise als gut genug für meine Ansprüche einstufen konnte. Das Motiv trug ich zwar schon seit ca. 7 Jahren mit mir herum, fand jedoch lange Zeit keinen geeigneten Künstler dem ich mich anvertrauen konnte/wollte. Darum musste dann auch gar nicht viel geredet werden, wir verstanden uns blind und drei Stunden später war ich mit meiner ersten Tinte versehen und fühlte mich so lebendig wie noch nie zuvor. Doch zurück zu deiner eigentlichen Frage: Kurz gesagt war es gefühlsmäßig schon längst überfällig, es endlich Realität werden zu lassen, denn es "sang" zu mir und markierte für mich den endgültigen Ausbruch aus der "normalen" Gesellschaft, das notariell beglaubigte Ja-Wort zum Anderssein, der nicht mehr aufzuhaltende Start einer Verpuppung die bis heute andauert und wahrscheinlich nie mehr stoppen wird. Alter... so philosophisch wirst du mich selten wieder erleben, haha.

Hast du eine Tätowierung die dir besonders am Herzen liegt?

Da meine bisherigen Tätowierungen interessanterweise allesamt zu Zeitpunkten höchster Freude oder tiefster Trauer entstanden sind, fühle ich mich aufgrund der damit verbundenen Erinnerungen auch mit allen gleichermaßen verbunden. Ein Tattoo ist für mich je nach Entstehungsursprung, ein Mahnmal eines Fehlers, der nicht wiederholt werden sollte, eine Eselsbrücke zu Erkenntnissen, die nicht vergessen werden dürfen, oder ein Füllhorn von Leidenschaften, die unbedingt wiederholt werden müssen. Vom technischen Standpunkt her, fühle ich mich zutiefst geehrt, ein wunderschönes Piece vom Meister persönlich, Robert Hernandez (www.rhernandeztattoos.com) zu besitzen, für das ich extra nach Madrid gereist bin. Aber rein spirituell ist mir mein Erstes immer noch mein Wichtigstes, da es das Zentrum meines Seins manifestiert und mich auch durch die feine Machart immer noch fasziniert und mit Energie versorgt.

Hast du eigentlich einen Stammtätowierer, oder gehst du zu verschiedenen Tätowierern?

Das ist momentan ein echt dunkles Kapitel... ich hätte gerne einen Stammtätowierer, war aber nach diversen Sitzungen bei Schweizer Tätowiererinnen und Tätowierern meist derart unzufrieden mit der Umsetzung oder ihrem Charakter, dass bisher jeder "Künstler" nur mit einem Werk vertreten ist. Ich bin aber immer noch auf der Suche und habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass mir irgendwann mal jemand auf der gleichen Wellenlänge entgegenkommt und ich endlich mal Tinte in kürzeren Abständen verpasst bekomme als nur alle zwei bis drei Jahre. Bis es soweit ist werde ich mir aber sicherlich noch den einen und anderen "Kultur-Ausflug" gönnen. Soll heißen, dass ich gerne mit ein paar Ausnahmekünstlern kollaborieren möchte, die jedoch querbeet in Europa verstreut sind und darum werden in der nächsten Zeit ein paar Kurztrips anstehen, bei denen ich ausnahmsweise mal freiwillig mit "Souvenirs" heimkommen werde.

Besteht für dich ein direkter Zusammenhang zwischen Tattoos und Metal?

Jein, denn das hängt ganz vom Charakter der jeweiligen Person ab. Es gibt z.B. Charaktere für die das Tätowiertsein untrennbar mit ihrer jeweiligen Attitüde verbunden ist und auch mit exponierten, großflächigen und/oder plakativen Arbeiten die Aufmerksamkeit auf sich ziehen möchten, um gleich von vornherein die Fronten klar zu machen. Andere wiederum ziehen aus Tattoos Energie, verwenden sie aus spirituellen oder traditionellen Überzeugungen, unterstreichen damit für sie wichtige Lebensabschnitte, möchten krampfhaft "dazu gehören", störende körperliche Makel überdecken oder benutzen sie einfach als simple Körperverzierung. Schlussendlich ist das Tätowiertsein eine seit Jahrtausenden verbreitete Tatsache die sich im Laufe der Zeit durch nahezu alle Kulturen gezogen hat und für mich den Wunsch des Individuums repräsentiert, sich von der breiten Masse abzuheben. No Tattoo = Not Metal? Nur in den Köpfen von Idioten und die stehen ja bekanntlich noch immer kilometerweit Schlange... Aber dennoch: Ja, ich persönlich fühle mich mit Tattoos mehr Metal als mit ohne.

Ist es für dich ein Nachteil das Tattoos sozusagen im Trend sind?

Definitiv nicht! Denn je eher das Tätowiertsein salonfähig gemacht wird, desto früher kann ich mich endlich komplett zuinken lassen, ohne dabei Gefahr laufen zu müssen, mit meinem Job Probleme zu bekommen! Lasst doch die ganzen Mitläufer ihre Arschgeweihe und Bizeps-Tribals stechen, nötigt die Kinder reicher Eltern dazu ein Bündel Scheine auf den Tresen des nächsten Tattoo-Shops zu schmeißen und sich gleich ein komplettes Arm-Sleeve zu machen! Denn je mehr Kohle aktuell in dieses Metier gepumpt wird, desto mehr werden auch neue, tolle Tätowierer aus dem Boden schießen und desto höher ist dann auch für mich die Chance, dass sich endlich ein kompetenter Künstler in meiner Nähe auffinden wird!

Aber zurück zum Thema. Nur weil etwas "im Trend" ist, muss es nicht als schlecht gewertet werden. Wartet nur etwas ab und das Darwin'sche Lebensgesetz wird sich einmal mehr bestätigen. Die Spreu wird sich vom Weizen trennen, die versierten Künstler werden überleben und die "schlechten" wieder in Vergessenheit geraten, die trendigen Leute werden mit ebenso trendigen Klamotten ihre "Jugendsünden" wieder verdecken, oder sich mittels noch trendigerem Laserverfahren ihre nicht mehr dem Zeitgeist entsprechenden "Makel" reinwaschen lassen. Es ist doch Ermüdenderweise immer das Gleiche. Schlussendlich gehört das Tattoo aber nur dir allein, denn DU musst damit klarkommen, DU entscheidest Was, Wo und Wie groß es werden soll, DU entscheidest ob es Drittpersonen sehen können oder es ständig versteckt wird, DU entscheidest ob du deinen ganzen Körper einfärben wirst, oder lieber "makellos" deinen Weg beschreitest. Ich plädiere darum nur auf leider fast vergessene Werte, wie Stolz und Ehrlichkeit zu sich selbst, denn wir könnten uns alle viel Geschwafel ersparen, wenn jeder seinen eigenen Stil beschreiten würde, ohne ständig krampfhaft nach links oder rechts schielen zu müssen.